Im Januar und April 2010 nahm ich an einem Studentenaustausch mit der Hochschule in Grenoble/Frankreich teil. Die hier geschilderten Erfahrungen und der kurze Bericht diente dem Abschluss des Moduls im Rahmen meines Studiums der Sozialarbeit. Viel Spass beim lesen!
Ein kurzer Erfahrungsbericht über einen Studentenaustausch mit der Universität Grenoble/Frankreich.
Eine Zugfahrt die ist lustig, besonders wenn man einige Streckenabschnitte im Stehen in einem französischen Bummelzug absolviert. Im Januar 2010 machten wir, Studenten der Fachhochschule Roßwein für Soziale Arbeit, uns mit dem Zug auf, um heraus zu finden wie die Soziale Arbeit in Frankreich, speziell in Grenoble, funktioniert. Ich wollte für mich erfahren ob die in der Überschrift genannten Werte noch die gleiche Bedeutung haben wie zu Zeiten der Französischen Revolution. Ein Studentenaustausch beinhaltet natürlich auch ein gegenseitiges kennenlernen und so wurden die Französischen Studenten im April zu uns nach Deutschland eingeladen. Wir haben viel gelacht, gefeiert, gekocht und uns ausgetauscht auch wenn ich leider, aus persönlichen Gründen, nicht an allen Veranstaltungen die von uns hier in Roßwein, Leipzig und Dresden organisiert wurden teilnehmen konnte. In Frankreich waren wir mit einem sympathischen Hauch von Desorganisation konfrontiert, welcher den gesamten Zeitraum unseres Aufenthaltes anhalten sollte. Bei unseren Vorbereitungen war es mir persönlich schon wieder ein bisschen zu viel der Ordnung und Planung. Dies schon vorab zu den kulturellen Unterschieden.
Nachdem wir uns in Frankreich gegenseitig vorgestellt haben, die ersten Redebeiträge zu Gehör bekamen und mit der Hand, einem Nudelsieb und einer Kelle gefühlte 100l Kartoffelsuppe durchgedrückt und hergestellt haben, war schnell klar, dass auch in Frankreich viele Probleme ihren Ursprung in der Bildung, der Integrations- und der Arbeitsmarktpolitik ihren Ursprung haben. Der wunderbare und gewünschte Effekt eines Studentenaustauschprogramms setzte also doch schon recht früh ein. Mein Horizont begann sich zu erweitern und Erkenntnisse über den französischen Umgang mit Jugendlichen, Migranten und Benachteiligten sollten recht bald folgen.
Wie wir alle wissen ist Frankreich ein Land mit einer unwahrscheinlich hohen Einwanderungsrate, es gibt ähnliche, allerdings viel gravierendere, Probleme auf dem Arbeitsmarkt und mit Ghettoisierung in den Großstädten oder besser gesagt um die Großstädte herum. Was ich schmerzlich feststellen musste, war eine gewisse Gleichgültigkeit des Staates gegenüber diesen Problemen und besonders im Hinblick auf den Umgang mit diesen Problemen. Dies zeigt sich ja auch in der aktuellen Politik Frankreichs. Sie antworten auf existente soziale Probleme mit einem Verbot der Burka und der Ausweisung hunderter Roma nach Rumänien oder in andere osteuropäische Länder. Wer weiß wie sie dort behandelt werden, kann sich nur für sie einsetzen, Partei für sie ergreifen und dieses Menschen verachtende Handeln zutiefst verurteilen.
Vielen Vereinen, die sich uns in Frankreich vorstellten, fehlte es an jedweder finanziellen staatlichen Unterstützung und vor allem an der Unterstützung aus der französischen Mehrheitsgesellschaft. Viele Projekte könnten nicht existieren, wäre da nicht die bedingungslose und unentgeltliche Unterstützung von vielen, vielen Ehrenamtlichen Mitarbeitern und Helfern (meist Studenten oder Rentner). Bereits die ersten Tage in Frankreich machten deutlich das wir uns bisher glücklich schätzen konnten ein relativ gut, von staatlicher Seite, finanziertes Sozialwesen hier in Deutschland zu haben. Welches nicht immer effektiv und zielorientiert arbeitet, aber dies steht auf einem anderen viel ausführlicherem Blatt. Umso trauriger und wütender macht einen die Tatsache der aktuellen radikalen Mittel und Zuwendungskürzungen, die Abschaffung solch wichtiger Elemente wie die Mobile Jugendarbeit, was den Ländlichen Raum in Ostdeutschland leider besonders hart trifft.
Was sind nun die angesprochenen hausgemachten Probleme bei unseren Nachbarn? In Frankreich werden Jugendliche vom Staat bewusst übergangen. Dies fängt damit an, dass es für Jugendliche zwischen 18 und 25 Jahren keine finanzielle Absicherung gibt wenn sie keine Lehrstelle oder Arbeitsstelle finden. Der Staat bemüht sich auch nicht, sich dieser Jugendlichen anzunehmen. Zum Glück passiert in Grenoble viel auf Lokaler oder Kommunaler Ebene. Ein Projekt oder Einrichtung z.B. welche in Grenoble den Jugendlichen helfen soll, nennt sich „Mission Locale“, eine Art Soziales Arbeitsamt mit der Möglichkeit einen Lehrvertrag für ein Berufsgrundjahr, für junge Menschen die in der Luft hängen, abzuschließen. Man muss sehr deutlich sagen, das Grenoble in ganz Frankreich einen Sonderstatus einnimmt was die Soziale Arbeit betrifft, in den anderen Städten und besonders auch im ländlichen Raum sieht es in Frankreich sehr viel schlechter aus mit der Fürsorge. Dies liegt nicht zuletzt an dem besonderen Engagement einzelner in Grenoble, wovon wir einige auch kennen lernen durften. Dem Staat ist es egal und wenn es keine Eigeninitiative gibt passiert auch nichts! Um die Jugendlichen zwischen 18 und 25 abzusichern, wären 1 Milliarde Euro notwendig, wenn jeder von Ihnen 400,00 Euro im Monat bekommen würde. Auf der anderen Seite lässt sich der Staat einen Atombombentest 1 Milliarde Euro kosten. Wo das Geld besser investiert wär, brauche ich nicht zu erwähnen. Kurios ist, das es seit 2009 bereits einen staatlich finanzierten Topf gibt der diese Problematik abfangen soll. Dieser Topf wurde jedoch bisher noch nicht ausgeschüttet, da ähnlich wie in Deutschland befürchtet wird, dass sich die Jugendlichen dann darauf ausruhen und überhaupt nichts mehr machen oder sich nicht um eine Lehrstelle bemühen. Im Grunde fügt sich hier nahtlos die Grundeinkommensdiskussion ein, wo jeder jedem unterstellt bei einem vorhandenen Grundeinkommen nicht mehr arbeiten zu gehen. Direkte Befragungen zeigen allerdings ganz deutlich andere Ergebnisse.
Im Geburtsland der Demokratie gibt es auch kein dem KJHG, über dessen Inhalt man freilich auch debattieren kann, ähnliches Gesetz. Dafür existiert aber eine Strafmündigkeit ab dem 13. Lebensjahr. Über den Erziehungscharakter einer Strafvollzugsanstalt und die damit staatlich geförderte Kriminalisierung Junger Erwachsener und Kinder muss ich, denke ich, nicht viele Worte verlieren. Die Kriminalisierung ist ein Fakt und der Erziehungscharakter fehlt. Derartige Regelungen resultieren aus einem, auch sehr rassistisch geprägten, Sicherheitswahn der Bürgerlichen Mittelschicht und Elite, sowie der älteren Gesellschaft.
In vielen sozialen Projekten die wir uns gemeinsam mit den StudentInnen aus Frankreich in Deutschland angesehen haben, unter anderem den Treibhaus e.V. Döbeln, die RAA Opferberatung in Leipzig, Projekte für und mit Suchtkranken, Migranten und Obdachlosen, spürte man einen gewissen Gesellschaftspolitischen Anspruch. Dieser resultiert aus einem unterschiedlichen Menschen und Gesellschaftsbild zwischen Sozialer Arbeit und dem Staat. Der Vollständigkeit halber muss ich an dieser Stelle anfügen, dass ich diesen Anspruch bei vielen meiner KommilitonInnen hier in Deutschland auch vermisse, ebenso wie es in Frankreich der Fall war. Oft herrschen auch dort die Mehrheitsgesellschaftlichen Einstellungen, Vorurteile und ein Medial geprägtes Gesellschaftsbild. Gerade aber durch die unterschiedlichen Gesellschafts- und Menschenbilder zwischen der Sozialen Arbeit und dem Staat benötigt die Soziale Arbeit eine politische Meinung und muss um ihre immer weiter schrumpfende Lobby kämpfen. Die Fragen der Arbeitsmarktpolitik, der Integration und der Bildung sind einfach politisch und sozialwissenschaftlich sehr brisant.
Aus persönlichen Gesprächen mit den StudentInnen aus Frankreich wurde deutlich das auch sie, viele der in ihrem System existenten Sozialen Missstände zu tiefst verurteilen. Schwierig ist es jedoch für den einzelnen als Mitarbeiter in einer Organisation diese Missstände anzuprangern, da die meisten innerhalb der Sozialen Arbeit bei öffentlichen Trägern angestellt sind, da man nur dort ein relativ konstantes und sicheres Einkommen hat. Die öffentlichen Träger sind jedoch an das Gesellschaftliche System gebunden und werden demnach nicht in die Hand beißen können die sie füttert. Dieses Phänomen, oder besser gesagt diese Tragik, können wir ja auch in Deutschland beobachten. Viele Freie Träger hier in Deutschland sind abhängig von Zahlungen des Jugendamtes, demnach werden sie immer artig deren Weg einschreiten und eine kritische Gesellschaftspolitische Ausrichtung wird immer weiter eingedämmt. In Frankreich haben wir das Problem kennen gelernt das es gar nicht erst zu der Gründung von Freien Trägern und Vereinen kommt da diese nur mit einem absoluten Minimum an Unterstützung bedacht werden. Den Großteil ihrer Arbeit müssen sie, wie schon erwähnt, Ehrenamtlich leisten und die Unterstützung Finanzieller Art muss aus Spenden geleistet werden. In Frankreich wie auch in Deutschland ist besonders die Arbeit mit und für Jugendliche und hier auch sehr stark die Integrationsdebatte Jugendlicher und Kinder mit Migrationshintergrund sehr wichtig und nahezu existentiell. Genau in dieser Thematik
Der Austausch war für mich eine sehr große und interessante Erfahrung die ich nicht missen möchte. Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit sind jedoch in Frankreich und auch in Deutschland Worte die ständig, überall und von jedem mit Füssen getreten werden und die sich nicht wie gehofft finden ließen. Ein Beitrag damit sich dies ändert war unser Austausch definitiv, denn wir sollten uns nicht Rückwärts bewegen und in Deutschland Französische Verhältnisse anstreben sondern dafür kämpfen, dass wir uns nach vorn bewegen. Hier und überall auf der Welt.
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