… dies sind für mich die bleibenden Erinnerungen der vergangenen Woche.
Im Rahmen meines aktuellen Forschungsprojektes zu Jugendarbeit in ländlichen Räumen begleitete ich die LEADER Region Muldenland zu einem Fachaustausch nach Lettland. Nachdem ich im März schon einen Einblick in den ländlichen Raum Finnlands bekommen durfte, war nun Lettland dran. Natürlich ist dies immer nur ein Ausschnitt und nicht unbedingt repräsentativ sondern eher sehr selektiv für das gesamte Land, jedoch ist es spannend dieses selektiven Eindruck mit den hießigen abzugleichen.
Vielleicht mal kurz zu Lettland: mein Eindruck von diesem baltischen Staat waren unendliche flache Weiten, ohne nennswerte Erhebungen und unendlich viel Wald mit Feldern. Mitten im Wald gibt es dann immer mal Bushaltestellen ohne das man Wohnbebauungen sieht – aber diese sind dann 3 km oder mehr entfernt im Wald drinnen und meist reden wir da auch nur von einzelnen Häusern. Ansonsten wohnen im gesamten Land gerade mal soviel Menschen wie in Hamburg (ca. 1,9 Millionen) allerdings verteilen sich 1,3 Millionen davon auf eine Fläche die in etwa so groß wie Brandenburg, Sachsen-Anhalt und Sachsen zusammen ist. Dies macht dann eine Dichte von gerade mal 30 Einwohner*innen pro km², der Landkreis Leipzig hat hier 156 Einwohner*innen pro km² und der am dünnsten besiedelste Landkreis Deutschlands, Prignitz in Brandenburg hat 35 Einwohner*innen pro km². Kurzum hat auch in Lettland, genau wie in Finnland, der Verwendung des Begriffes ländlicher Raum noch einmal eine grundhaft andere Dimension und Bedeutung als bei uns.
Bevor ich allerdings noch mehr solche Fakten droppe möchte ich gern etwas zu den Sachen sagen die ich gesehen habe und die ich versucht habe in Bildern festzuhalten. Die Touri Fotos könnt ihr euch sicher bei anderen Reisenden besser anschauen und bei der Reise ging es ja auch nicht um Landschaftsfotos, um die urigen alten Holzhütten, den längsten Wasserfall in Europas oder das Haus welches an der Stelle stand an der heute der Eifelturm steht und welches nach Lettland umgesetzt wurde.
Bei dem Besuch von den staatlich geförderten Jugendzentren fiel auf, dass diese enorm professionell und modern ausgestattet sind. Allerdings hingen überall Kameras rum, was hier wahrscheinlich einige freuen würde, meiner Auffassung von Jugendarbeit und Privatsspähre irgendwie entgegen steht. Sie waren wirklich überall, in jedem Raum der Jugendhäuser und im Außengelände.
Die meisten staatlichen Jugendhäuser müsst ihr euch wie eine Art Volkshochschule mit Ganztagsangeboten und engen Kooperationen mit den Schulen vorstellen. Sicherlich ein Konzept welches hier in Deutschland auch favorisiert wird und wahrscheinlich im Sinne einer integrativ gedachten Jugendarbeit auch sehr sinnvoll erscheint. Auf mich haben die Häuser den Eindruck von riesigen Jugendkulturellen Zentren gemacht, wo bis zu 5 Sozialarbeiter*innen tätig waren. Besonders beeindruckend war dabei das Jugendhaus in Júrmala, eine Stadt mit ca. 50.000 Einwohner*innen, welche sich hier auf 15 Teilorte entlang von 40 km Küste, verteilen.
Auf den Bildern nicht zu sehen ist der riesige Outdoorgympark der sich hinter dem massiven Skatepark versteckte, der fast ebenso große Spielplatz für Kinder welcher an dem Skatepark angrenzte und die Open Air Bühne mit Tribüne vor dem Jugendhaus. Ich habe selten eine solche große Anlage gesehen und einzig die schon angesprochenen Kameras drückten die Stimmung ein wenig. Wie ihr seht ist dies auch öffentlich alles zugänglich und wird von allen Generationen genutzt. Ich denke es bräuchte mal noch ein paar Skater*innen, denn als wir dort waren, waren nur Scooter-Kidz zu sehen.
Ein weitere Skatepark, mit Dirtbike und BMX Pump und Racetrack haben wir in Tukums entdeckt. Hier muss man allerdings sagen das dieser auf eine private Initiative und mit privater Unterstützung entstanden ist. Nichts desto trotz ist er frei zugänglich und für die Kids und Jugendlichen nutzbar. Die Stadt hat mit allen Ortsteilen insgesamt 18.000 Einwohner*innen. In der Kernstadt wo sich der Park befindet leben ca. 7.500 Menschen. Wir können es also irgendwie schon mit Grimma vergleichen. Die gesamte Dimension des Parkes einzufangen war schwer denn es gehörte noch eine Beachvolleyballanlage dazu.
Für mich persönlich jedoch das beeindruckendste Projekt war eine Art selbstorganisiertes Sozialhaus von einer Therapeutin/Psychologin (sofern ich dies richtig verstanden hab) sie hat in einem Haus mehrer Sozialwohnungen für ältere Menschen geschaffen und zusätzlich dazu, gibt es einen selbstorganisierten Jugendraum von Jugendlichen die ansonsten irgendwo in den Wäldern wohnen. Diese haben uns Bilder von Fußballturnieren und sonstigen Events gezeigt, welche sie selber organisiert und durchgeführt haben. Wie groß, bzw. klein der Ort war in dem dieser Clubraum war fällt mir schwer zu schätzen. Die ca. 20 Kids die sich dort getroffen haben erreichen jedoch die vorgenannten großen Jugendzentren nicht und deshalb haben sie sich selbst einen Raum geschaffen. Man hat auch ihre Begeisterung für diesen Raum gespürt, da sie ihn selbst ausgebaut und eingerichtet haben, wohingegen die anderen Räumlichkeiten eher zum Konsum eingeladen haben. Der Mehrwert und die Nachhaltigkeit der Angebote muss dann, genau wie hier bei uns, auch mal hinterfragt werden.
Auch interessant war ein Boxclub den wir uns angeschaut haben, welcher auf eine ehrenamtliche Initiative hin entstanden ist, da in den ländlichen Räumen, ebenso wie hier ein Angebotsmangel herrscht und sich alles auf die Ballungszentren konzentriert. Neben dem Boxclub in der alten Turnhalle ist zudem auch eine Art Community Gym entstanden, zu welchem die Einwohner*innen der Dörfer und Siedlungen mittels einer Chipkarte Zugang erhalten.
Gerade in den langen Wintermonaten ist dies sehr hilfreich, da die Outdoor- und Freizeitmöglichkeiten, abseits der kleinen Städte in Lettland stark eingeschränkt sind. Ebenfalls in diesem kleinen Ort haben wir ein Café besucht, welches neben dem Cafébetrieb auch versucht kleine kulturelle Veranstaltungen anzubieten, da diese Angebote sonst nicht im ländlichen Raum vorhanden sind. Zusätzlich dazu werden im Sommer, denn die Kids haben 3 Monate Sommerferien, noch Freizeitangebote und Feriencamps durchgeführt.
FAZIT: Meiner Meinung nach konnte ich wirklich krasse Freizeitanlagen für Jugendliche in sehr ländlichen Regionen sehen und musste feststellen das junge Menschen in Lettland scheinbar einen anderen Stellenwert haben wie es bei uns heutzutage der Fall ist. Denn wie ihr wisst werden hier Skateparks eher geräumt und die Schaffung von Freizeitangeboten für Jugendliche eher erschwert als vereinfacht. Jugendlicher in Lettland zu sein bedeutet aber auch große Entfernungen auf sich nehmen um diese Orte teilweise erreichen zu können, aber immerhin sind sie vorhanden und man muss nicht erst bis Riga um sie zu erreichen. Um dies alles tatsächlich vergleichen zu können müsste man tiefer in die Materie einsteigen, aber eins ist Fakt auch in einer Kleinstadt mit der Größe Grimma’s kann es einen Skatepark und attraktive Angebote für Jugendliche geben, man muss es eben nur wollen.
…another world is possible!!!