Es hat eine ganze Weile gedauert bis ich hier ein paar anständige Zeilen zusammen bauen kann. Eine Zusammenfassung und ein kleines Review zur Wanderung könnt ihr auf Instagram unter hikefor finden, was ich persönlich erlebt, mitgenommen und was mich auch im Nachgang beschäftigt, werde ich euch bei den Vorträgen berichten und ich freue mich schon sehr darauf. Einen Ersten Test wird es inoffiziell, bzw. nicht öffentlich bei den Sportfreund*innen vom Roten Stern Leipzig geben und den ersten öffentlichen Vortrag gibt es am 16.11.2021, ab 19:30 Uhr in der tapir Filiale in Leipzig. Ich bin jetzt schon mega aufgeregt, denn ich habe zwar schon etliche Vorträge gehalten, aber noch nie einen über eine Wanderung. Ich habe mir noch nicht mal einen solchen Vortrag als Besucher angeschaut, also seit gespannt wie ich diese Aufgabe löse!
Ich wurde nach der Wanderung schon ein paar mal gefragt wie es zu der Idee kam und was da inhaltlich dahinter steckt, bzw. die Absicht ist! Wie ihr euch sicher vorstellen könnt lässt sich dies nicht wirklich in einen Blogbeitrag bauen und ich denke nicht alle von euch interessiert das auch. Dank den wundervollen Menschen von der CORAX Redaktion konnte ich jedoch im letzten Heft (#3/2021) einen kurzen Einblick dazu geben und ihr findet den ausführlichen Artikel dazu auch Online (hier), da er leider zu lang war um ihn komplett im Heft abzudrucken.
Damit ich euch aber, begleitend zu den anstehenden Vorträgen auch hier einen Ausblick geben kann kam es mir sehr recht das der liebe Jan (der u.a. auch Teil des #hikefor Teams war) für sein kommendes Heft im Februar/März 2022 einen Beitrag über die gesamte Kampagne mit einem Interview mit mir verknüpft hat. Den Artikel findet ihr also kommendes Jahr im Heft #35 des Proud to be Punk Fanzines, welches ihr auch in unserem Shop erwerben könnt, wenn es soweit ist.
So nun aber genug der Vorgeschichte und viel Spass beim lesen meines persönlichen Kampagnen Reviews welches dank Jan’s fantastischer Fragen tiefe Einblicke in meine persönliche Gedankenwelt zur Wanderung eröffnet.
Jan: Wie bist du auf die Idee für die Kampagne allgemein und die Wanderung im Besonderen gekommen?
Pudding: Das Ganze war, glaube ich, mehr oder weniger ein Prozess, an welchem sich viele Menschen, wie z.B. du, beteiligt haben. Aber vielleicht fange ich mal beim Urschleim an und bei den Punkten, aus denen sich dann die Kampagne zusammengebaut hat.
Zum einen habe ich vor einiger Zeit auf meinem Blog angefangen, Themen der Jugendarbeit und unserer gesamtgesellschaftlichen Lage anhand von Wanderungen oder Kletterausflügen zu erklären, weil ich irgendwie das Gefühl hatte, den Menschen so anhand von einem Beispiel diese Themen mit all ihren Facetten näher zu bringen. Auch mir hat das geholfen, Jugendarbeit irgendwie greifbarer zu machen. Wir kämpfen ja ständig darum Menschen zu erreichen, denn nur so entsteht eine Öffentlichkeit welche die Jugendarbeit und auch die Lebensphase Jugend zwingend braucht. Nun ist das mit der Öffentlichkeit nicht mehr so einfach und ich denke kaum jemand* (ohne Bezug zur Jugendarbeit, Sozialen Arbeit oder politisch sehr regional begrenzten Themen) liest sich einfach so meinen Blog durch. Deshalb hatte ich irgendwie die Idee dies vielleicht etwas spannender zu gestalten, die Kombination aus so kleinen Reiseberichten und besonders den Erfahrungen und Schwierigkeiten beim Bergsteigen und den Schwierigkeiten in unserer Gesellschaft fand ich da ganz gut zusammen-passend. Außerdem hilft mir das etwas einen Roten Faden zu behalten, denn ansonsten würde ich glaub zu sehr abdriften und ich denke dies interessiert dann auch keinen mehr. Kurzum kann man* sagen das es irgendwie intuitiv von mir war, aber es macht mir Spass und ich kann dadurch die SocialMedia Plattformen wie Facebook und Instagram bedienen, was mir ansonsten große Schwierigkeiten bereitet. Darauf verzichten kann man leider auch nicht, da es sonst für eher unbekannte Menschen wie mich schwierig ist eine breite Öffentlichkeit zu erreichen. Das führt einen dann auch zu einem weiteren Punkt, denn ich bin zum anderen überzeugt von einem Gegenmachtmodell, welches den etablierten Strukturen des Sozialstaates wie Wohlfahrtsverbänden und damit der staatlich organisierten Gerechtigkeit etwas entgegensetzen möchte. Diese wirkmächtige Gegenmacht haben wir hier in Deutschland nicht, da sich unsere Gesellschaft nicht entsprechend ihrer Bedürfnisse selbst organisieren kann. Zum einen muss dies, glaube ich, gelernt werden und zum anderen wird es durch die Strukturen, besonders im Sektor der Jugend- und Geflüchtetenarbeit, auch aktiv behindert. Es war nun somit die Idee, auf diese Problematik aufmerksam zu machen und gleichzeitig zu verdeutlichen, was es bedeutet, eine Stelle im Bereich der politischen Bildung, der Jugend- und Geflüchtetenarbeit in Sachsen zu finanzieren. Ich bin mir heute sicher, dass die Wanderung, trotz all ihrer Schwierigkeiten, einfacher zu meistern war als der jahrzehntelange Kampf, den wir hier tagtäglich für eine gerechtere Welt kämpfen.
Betrachten wir die aktuellen Bundestags – Wahlergebnisse und den politischen Diskurs in unserer Gesellschaft, dann ist das wie eine nicht enden wollende Wanderung und die zurück liegende Wanderung konnte ich meistern weil ich grob zwei konkrete Ziele hatte. Eines war die Erreichung des Zielortes Muggia bei Triest und das andere Ziel war die Erreichung des Fundraising Zieles. In der täglichen Arbeit muss man sich viele Zwischenziele setzen und immer wieder hoffen das diese zum großen Ziel von Gerechtigkeit und einer hierarchiefreien Gesellschaft einen Beitrag leisten. D.h. du stehst permanent vor der Aufgabe dich zu motivieren und das obwohl du für dich selbst als Individuum nur einen geringen Nutzen daraus ziehen kannst. Ich kann somit unterm Strich heute sagen, eine Wanderung von diesem Ausmaß ist einfacher zu bewerkstelligen, als unsere Gesellschaft nachhaltig zu verändern. Die Wanderung hat ihr Ziel erreicht, ob ich selbst aber zu Lebzeiten noch Zeuge eines spürbaren gesellschaftlichen Wandels werde, weiß ich halt nicht. Denn dafür ist unser Leben zu kurz und solche Wandlungsprozesse werden ja erst im historischen Kontext so wirklich sichtbar. Soll heißen vielleicht trägt unser aktives tun dazu bei, aber feststellen wird das dann eventuell erst irgendein*e Historiker*in in 100 Jahren. Ich bin unter anderem der Meinung, dass wir eine anders aufgestellte Organisationsstruktur brauchen, die von den Menschen und den jeweiligen Milieus ausgeht, wenn wir tatsächlich etwas verändern wollen und dies ist eine Mammutaufgabe weil es vollkommen anachronistisch zur bisherigen gesellschaftlichen Entwicklung, seit dem 2. Weltkrieg, in Deutschland ist. Die Begrenzung auf die Entwicklung seit dem 2. Weltkrieg ist deshalb wichtig, da es vorher andere gesellschaftliche Entwicklungen gab, die durchaus das Potential für eine andere Organisation von Gesellschaft gehabt hätten, leider aber durch die Machtübernahme der Nazi‘s zerstört wurde. Deshalb wollten wir mit der Kampagne auch verschiedenste Initiativen in Sachsen vorstellen, um zu zeigen, dass es durchaus Potential für andere Organisationsformen gibt und wir hier auch nicht von einzelnen Personen reden. Wichtig ist dies deshalb um Aufgrund der Gefahr das sich Geschichte wiederholen könnte, wie die Wahlergebnisse, besonders in Sachsen, Thüringen und Sachsen-Anhalt gezeigt haben, wir uns gegenseitig motivieren müssen dran zu bleiben, auch wenn dies oftmals sehr schwer fällt.
Schlussendlich war es der Wunsch, Aufmerksamkeit für eine Problematik zu erzeugen, die zwar viele kennen, aber keine*r so richtig beschreiben kann. Ich hoffe, dies ist uns mit der Wanderung und der Kampagne gelungen. Ich hatte ja auch eine etwaige Vorstellung, was mich bei der Wanderung erwartet und genau so ist es in der alltäglichen Arbeit hier: Wir müssen uns immer wieder aufs Neue motivieren, um weiterzumachen, da du am fortlaufenden Band Rückschläge einstecken musst. Das war die Idee dahinter, um den Menschen dieses permanente Auf und Ab, die Rückschläge und die Ungewissheit, etwas zu machen, ohne zu wissen, ob es funktioniert, näher zu bringen. Ich habe mir zudem gedacht, dass eine solche Aktion durchaus in der Lage ist, Aufmerksamkeit zu erzeugen, mehr als wenn ich einmal die Woche in den sozialen Netzwerken poste, dass unsere Gesellschaft am Arsch ist und gute Jugendarbeit der Schlüssel für einen Wandlungsprozess sein könnte.
Jan: Mit welchen Ereignissen und Umständen hast du dich konfrontiert gesehen, die du bei deinen Vorbereitungen und Planungen nicht einkalkuliert hast?
Pudding: Na auf jeden Fall das Wetter während der Wanderung! Das hat mich sechs Wochen lang ganz schön an meine Grenzen gebracht, aber so ist es eben. Es gibt Faktoren, die kann man zuvor nicht wirklich abschätzen und man hat auch kaum Einfluss darauf, außer vielleicht seine Route zu ändern, um es trotz schlechten Wetters mit Umwegen zu schaffen. Auch ein bisschen wie in der alltäglichen Arbeit. Während der Wanderung hatte ich viel mit Schnee, Eis und Regen zu kämpfen, was ich so nicht erwartet hatte und was manche Teilstrecken zu einem enormen Lebensrisiko hat werden lassen. Teilweise waren auch ganze Wege durch den enormen Starkregen nicht mehr vorhanden und wurden weggespült, was das Wandern nicht immer zu einem Vergnügen gemacht hat. Ansonsten war es ein enormer Aufwand, den ich ohne das Team hinter der Kampagne niemals alleine hätte bewältigen können. Alleine die Spontanität, die teilweise notwendig war, weil ich mich nicht regelmäßig melden konnte und während der Wanderung auch so gar keinen Einfluss auf die Öffentlichkeitsarbeit hatte.
Ein weiterer Umstand, der hinzugekommen ist, war die Räumung und der Rückbau des Skateparks, der an unser Gelände in Grimma grenzte. Eigentlich sollte sich ja das Fundraising und die Kampagne vorwiegend um die Jugend- und Geflüchtetenarbeit im sächsischen Hinterland drehen. Die Räumung hat dann einen Nebenschauplatz eröffnet, welcher uns gezwungen hat, auch die Summe von 70.000 Euro in den Raum zu stellen, um alle anstehenden Aufgaben irgendwie bewältigen zu können. Die Wut über das Handeln der Stadt Grimma und vor allem auch die Wut über die Ignoranz von Erwachsenen gegenüber den Bedürfnissen von Jugendlichen hat mich und das gesamte Team etwas von der eigentlichen inhaltlichen Ausrichtung entfernt. Ich wollte, besonders in den Videobeiträgen, eigentlich vielmehr über Jugendarbeit und Soziale Arbeit, die für mich nicht zusammen gehören, sprechen. Schlussendlich drehte es sich aber viel zu oft um die Räumung des Skateparks und um den Umgang der Stadt Grimma mit den Jugendlichen, die ihre eigenen Fehler auf die Jugendlichen abwälzte. Der Fokus ist dabei etwas entglitten denn ich hätte es im nach hinein gern allgemeiner dargestellt, denn dieser Umgang einer Kommune mit den Bedürfnissen der in ihr lebenden Jugendlichen ist kein Einzelfall und sicher auf viele andere Kommunen und Kleinstädte im ländlichen Raum übertragbar. Diese Übertragbarkeit ist mir nicht geglückt und der Fokus lag zu sehr auf Grimma und ich habe für mein Empfinden damit der Stadt viel zu viel Raum gegeben und klare Feindbilder bedient, die aber viel zu einfach sind um als Erklärung für den komplexen Zustand unserer Gesellschaft im kleinen und im großen her halten zu können.
Die größte Schwierigkeit, mit der ich auch absolut nicht gerechnet hatte, war der persönliche Kampf mit der Einsamkeit in Verbindung mit dem Wetter und somit die Motivation weiterzumachen. Tagelang im Regen, bei eisigem Wind und mit Schnee unter den Füßen hat mich wirklich ziemlich fertig gemacht. Und diese Einsamkeit, Entscheidungen immer allein zu treffen, niemanden zu haben, mit dem man* Momente und Eindrücke teilen kann, war etwas, was ich so überhaupt nicht auf dem Schirm hatte. Es gibt ja Menschen, die genau deswegen solche Wanderungen machen. Ich weiß heute, ich gehöre nicht dazu und ich bin froh, dass es eine Sache und eine Art Ziel durch das Fundraising gab, was mich zum Weitermachen für die Jugend- und Geflüchtetenarbeit motiviert hat. Ich habe hier auch für mich gemerkt, dass ich irgendwie selbst meine eigene Gesundheit der Sache unterordne und tatsächlich frage ich mich seit der Wanderung, ob dies auf Dauer gut ist.
Jan: Was waren die schönsten und bewegendsten Erlebnisse und Momente während der Wanderung?
Pudding: Mein absolut bewegendster Moment war, als ich den Cottbuser Höhenweg gelaufen bin und dort an einer Stelle ein 360-Grad-Panorama über Tirol sehen konnte. Solche Rundumblicke gab es viele, aber an diesem Tag bin ich emotional mit der Räumung des Skateparks und dem ständigen Kampf gegen Windmühlen im ländlichen Raum nicht fertig geworden. Es brach einfach alles über mir zusammen. Ich sah dieses Panorama, wusste, wofür ich diese Wanderung mache, wusste, dass es Leute gibt, die dies erreicht, und gleichzeitig aber auch Leute, die öffentlich im Netz posteten, dass sie sich wünschten, ich würde nicht mehr zurückkommen. Die Schönheit dieser Berge auf der einen Seite und gleichzeitig die ständige Gefahr, dass sie einem auch das Leben nehmen können, hat mich dort wirklich sehr berührt und war einer der schönsten Momente auf der gesamten Wanderung.
Ein beeindruckendes Erlebnis war aber auch meine Übernachtung auf der Filmoor Standschutzhütte. Wandert dort auf jeden Fall mal hin. Ich habe mich einfach wie „Zuhause“ in einem AJZ, einem besetzten Haus oder in irgendeinem Konzertschuppen irgendwo in Europa gefühlt. Wir haben zusammen gegessen, es gab Gitarrenmusik und wir haben über Hausbesetzungen gequatscht. Es fühlte sich wirklich angenehm an, auf einer Hütte in den Alpen Punks zu treffen, die ihre DIY-Attitüde auf einer Berghütte ausleben.
Ansonsten gibt es, glaube ich, viele Momente, die mir beim Durchsehen der Bilder wiederkommen und mir dann bewusst werden. Ich bin ja auch sehr oft an der Frontlinie des Ersten Weltkrieges entlanggelaufen und die Vorstellung, dass sich dort Soldaten gegenüberlagen, die in den Jahren zuvor noch gemeinsam Felder und Almen bewirtschaftet haben, hat einem auch noch einmal eindrücklich vermittelt, dass Grenzen und damit verbundene Konflikte Dinge sind, die wir in unserer Welt nicht brauchen. Kurz vor Ende bin ich wahrscheinlich auch über Fluchtrouten gelaufen und habe Versorgungszwischenstationen von Fluchthelfer*innen gesehen, was mich sehr über meine privilegierte Staatsbürgerschaft hat nachdenken lassen. Denn es gibt verdammt viele Menschen, die nicht so einfach mal die Grenzen in den Alpen überqueren können, wie ich es getan hab.
Jan: Was waren die anstrengendsten, belastendsten oder gar gefährlichsten Erlebnisse und Momente während der Wanderung?
Pudding: Einiges dazu hatten wir ja schon, aber in Slowenien habe ich oft draußen geschlafen und auch immer mal abseits, weil meine Route dort etwas improvisiert war. Das hat dazu geführt, dass ich nachts Wölfe habe heulen hören, welche eben nicht in einem Tierpark waren. Das hat mir durchaus Angst gemacht. Auch war es manchmal sehr anstrengend, seinen Wasservorrat aufzufüllen, so dass ich immer mal mit Wasserknappheit konfrontiert war, was in einem echt krasse Gedanken auslöst.
Dann bin ich zweimal böse umgeknickt und bin in dessen Folge gestürzt. Einmal auf einem Geröllfeld am Krn (Slowenien) und habe mir dort ordentlich den Körper zerschrammt. Zum Glück hatte sich mein Rucksack nach einem Überschlag zwischen großen Steinen verkeilt, so dass ich nicht die 200 oder 300 Meter den ganzen Hang hinuntergerutscht bin. Ich denke, dies hätte nicht nur mit Schürfwunden geendet. Belastend war auch, wie oben schon beschrieben, der ständige Schnee, der immer wieder noch herumlag und somit manche Teilstrecken zu ziemlich waghalsigen Etappen gemacht hat, weil ich manchmal vier Stunden zum Teil im Nebel über Schneefelder laufen musste, was die Orientierung durchaus schwierig gemacht hat. Was mir darüber hinaus auch großen Respekt eingeflößt hat, waren Gewitter. Einmal wurde ich nachts von einem überrascht und einmal ca. 30 Minuten vor einer rettenden Hütte. Dort ist dann ein paar Meter neben mir ein Blitz in einen kleinen See eingeschlagen und ich habe diesen Einschlag gespürt. Dieses Kribbeln werde ich auch nicht wieder vergessen.
Jan: Inwiefern hat die Wanderung dich, dein Denken und dein Handeln verändert?
Pudding: Eine gute und spannende Frage. Ich denke, ich bin für einige Probleme, mit denen wir uns hier herumschlagen, nicht mehr wirklich empfänglich. Denn wenn man sechs Wochen mit den Mainproblems Essen, Trinken, Wetter und wo man schlafen kann, konfrontiert war, bekommt man irgendwie ein existentielleres Problembewusstsein. Unmittelbar nach der Wanderung hatte ich so eine Art Gleichgültigkeit gegenüber den Sorgen und Nöten, mit denen wir uns hier herumschlagen, weil ich es nicht mehr als wirkliche Probleme wahrnehmen konnte. Ich habe mich dann solche Sachen gefragt, ob ein*e AfD-Wähler*in Wasser in den Bergen ablehnen würde, wenn es ihm bzw. ihr von einem geflüchteten Menschen oder einem Antifaschisten wie mir angeboten werden würde. Ich frage mich heute viel mehr als vorher: Was hat Problem XY jetzt mit mir zu tun oder hebt mich das jetzt an?
Ich denke auch, dass ich seit der Wanderung besser weiß, was ich bereits gemacht habe und warum ich dies gemacht habe. Das war mir manchmal vorher nicht immer komplett bewusst. Zusätzlich bin ich seit der Wanderung noch mehr davon überzeugt, dass wir unsere Welt verändern können und es zu mehr Gerechtigkeit schaffen, auch wenn man dafür seine Route ändern oder seinen Kompass mal neu kalibrieren muss.
Ich schreibe diesen Text, um mich von den Bundestagswahlergebnissen abzulenken und vielleicht brauchen wir, die für mehr Gerechtigkeit und einen konsequenten Antifaschismus einstehen, mal eine neue Route. Könnte bedeuten wir müssen auf Sachsen verzichten, aber ich musste meine Route durch die Dolomiten auch komplett verwerfen und schlussendlich geht es um das Ziel. Ob wir das Ziel Gerechtigkeit mit einem blau-braunen Sachsen erreichen, ist fraglich. Kurzum: Ich denke, dass mir die Wanderung gezeigt hat, dass es nicht immer nur um den Weg, sondern auch um das Erreichen – vor allem lebend – des Ziels geht.
Jan: Kannst du genauer erklären, was du damit meinst, wenn du sagst, man müsse vielleicht auf Sachsen verzichten bzw. wie dieser Verzicht deiner Meinung nach umgesetzt werden sollte.
Ich kann hier glaube ich nur für meine individuellen Gedanken sprechen und da treibt mich sehr oft die Frage um: Was und vor allem warum mache ich das hier? Warum setze ich mich Anfeindungen und Debatten aus die mich im Nachgang nur frustrieren? Ich finde es wichtig das ich mir diese Fragen stelle und auch ehrlich damit umgehe. Ich bin fest davon überzeugt das wir eine Gesellschaft entwickeln können die gerechter und gleichberechtigter ist als die, in der wir leben. Jedoch sind die Probleme mit den wir uns hier in Sachsen herum schlagen ja viel fundamentaler. Wir reden ja hier von ca. 50% Wähler*innen die eben genau diese gerechtere Welt nicht wollen, sonst würde die AfD, die sächsische CDU und auch die extremen Kleinstparteien wie Dritter Weg oder Die Basis nicht in Summe auf 50% kommen. Für diese 50% ist alles gut so wie es ist oder sie würden sich noch mehr Ungerechtigkeit im Bezug auf Gleichberechtigung, Klimaschutz, Migration und Kapitalismus wünschen. Genau hier beginnen dann die Gedanken wo ich mich persönlich frage wie weit kann ich noch gehen wenn ich als Antifaschist und Anarchist für 50% einfach nur Schmutz und Abschaum bin und reichen die anderen 50% Menschen aus um das Blatt noch zu wenden? Ich finde mit Blick auf die Landtagswahlen 2023 sind dies reale Fragen die wir uns stellen müssen. Wir sollten auf jeden Fall bis dahin alles daran setzen mehr als einen Tropfen auf den heißen Stein zu gießen und wir haben in Grimma und im Landkreis Leipzig da gerade ein gutes Startkapital und ein gutes Konzept um genau dies zu tun. Ich bewerte da den Erfolg unserer Arbeit tatsächlich auch u.a. anhand der Wahlergebnisse. Wir haben jetzt die Chance uns so zu strukturieren und aufzustellen das wir eine gewisse Zeit auch in einem Bundesland mit einer AfD Regierung existieren könnten um den Menschen einen Schutzraum zu bieten, aber es ist ja für Projekte und Räume wie den unseren auch ohne AfD schon schwer und das drückt halt das Gemüt. Beim Bergsteigen bist du ständig damit konfrontiert eine Gefahreneinschätzung der unmittelbar bevorstehenden oder dich umgebenden Situation zu machen um dann für dich zu bewerten ob du das Risiko jetzt eingehst oder nicht. Tja und so ist es halt irgendwie in Sachsen. In den 1990ern und frühen 00er Jahren hast du überlegt an welche Tankstelle fahre ich jetzt, in welche Disko, Kneipe oder auf welches Dorffest gehe ich um danach nicht im Krankenhaus aufzuwachen. Heute überlege ich halt wo und wie übe ich meine Arbeit aus um nicht Sozial ausgeschlossen und geächtet zu werden oder gar wieder Gefahr zu laufen mich im Krankenhaus oder auf dem Friedhof wieder zu finden. Wir reden ja hier auch von Morden die an uns Antifaschist*innen begangen werden. Das musst du wie beim bergsteigen immer wieder neu machen, aber du musst darauf vorbereitet sein das eine Situation auf dich zukommen kann die dich zwingt deinen Lebensmittelpunkt in ein anderes Bundesland zu verlagern damit du dann dort deine Route fortsetzen kannst. Da ist dann auch wieder der Bezug zum wandern oder bergsteigen. So richtig einschätzen kannst du es erst wenn die Situation auch da ist und du es bewerten kannst. Kurzum für mich bedeutet es, ich bleibe vorbereitet auf alles was da kommt und schätze es ein wenn es soweit ist, aber für mich ist Sachsen verlassen immer eine reale Option um das höhere Ziel, einer anderen und gerechteren Gesellschaft, erreichen zu können. Denn es ist eben nur eine Routenänderung und kein aufgeben, was ich vor der Wanderung oft gedacht habe. Ich bin halt leider auch keine 20 mehr um mich in einen romantisch verklärten, im Untergrund geführten, Widerstandskampf gegen Nazi‘s zu begeben.
Jan: Inwieweit bist du zufrieden mit dem Verlauf der Kampagne? Was hätte rückblickend eventuell anders gemacht werden können oder sollen? Und wie geht es jetzt mit #hikefor weiter?
Pudding: Ich bin unheimlich zufrieden mit dem Verlauf. Ich bin auch ehrlich, wenn ich sage, dass ich zwar gehofft habe, dass wir die Summe erreichen, aber ehrlich gesagt habe ich es nur gehofft und nicht wirklich daran geglaubt. Meine Hoffnung war hier Antrieb für alles und das macht mich persönlich sehr glücklich. Sicher hätten wir vieles besser oder anders machen können, aber für uns alle war es ein erster Versuch, verschiedenste Initiativen zu vereinen und sie gemeinsam vorzustellen.
Schlussendlich ging es ja auch darum, den Menschen und Initiativen Hoffnung zu geben und wenn wir dieses Modell der unabhängigen Arbeit realisieren können, können wir nicht nur Hoffnung, sondern endlich auch eine praktische, von der Community organisierte Alternative zu staatlichen Strukturen anbieten und alleine dies ist ein Erfolg. Wenn man dies jetzt mit dem Gegenmachtmodell in Verbindung bringt ist es nämlich genau das, was es braucht, denn es versetzt somit die staatlichen Institutionen in eine gewisse Handlungsnotwendigkeit. Das beste Beispiel ist hier vielleicht der Skatepark in Grimma. Die Stadt wird mitbekommen haben dass wir jetzt eben ohne sie eine Skatehalle bauen werden und ebenso haben sie mitbekommen, dass es vielleicht doch scheiße ist, wenn es in Grimma keinen Skatepark und keine Angebote für Jugendliche gibt. Auch wenn der Skatepark nun nicht mehr bei uns ist, versuchen sie aktuell, einen neuen zu errichten. Für die Skater*innen ist es somit ein Erfolg, den wir durch die Schaffung von Öffentlichkeit und das baldige Vorhalten einer Alternative erreicht haben. Also ein guter Beweis dafür, dass wir eine unabhängige Arbeit brauchen, welche nicht unter den Zwängen der staatlichen Finanzierung stattfindet. Eine Art Korrektiv und Sprachrohr für die Milieus, mit denen wir arbeiten. Ich glaube, die ganze Kampagne hätte nicht stattgefunden, wenn ich staatlich finanzierter Jugendarbeiter und bei einem, vom Jugendamt abhängigem, Träger beschäftigt gewesen wäre.
Tja, wie geht es mit #hikefor weiter? Ich selbst werde diese Möglichkeit zukünftig weiter nutzen, um durch Wanderungen bestimmte Themen anzusprechen, weil es mir einfach auch Spaß macht. Zusätzlich würde ich mich riesig freuen, wenn man derartige Wanderungen mit Bildungsthemen verknüpfen könnte oder ich auch mal mit Jugendlichen oder Geflüchteten durch die Berge wandern könnte. Ansonsten werden wir uns wahrscheinlich auch andere Sachen suchen, um medienwirksame Kampagnen durchzuführen. Jetzt müssen wir erst einmal den Auftrag unserer Unterstützer*innen umsetzen, die gGmbH auf die Beine stellen und die Stellen installieren und dann werden wir sehen, wo es uns 2022 hin verschlägt. Ich werde auf jeden Fall bei zukünftigen Wanderungen versuchen, Aufmerksamkeit zu erzeugen und hoffe, damit weiterhin mehr Menschen für diese relevanten Themen unserer Gesellschaft zu erreichen.
Das Interview ist eine Vorabveröffentlichung eines Beitrages im Proud to be Punk #35 welches im Februar/März 2022 erscheint.
Klugärsche…..
Hallo H.W.D.,
leider verstehe ich deinen Kommentar nicht ganz! Vielen dank für Aufklärung im voraus!
Solidarische Grüße
der Pudding