Im letzten Jahr sind viele Termine ausgefallen und glücklicherweise konnten einige in anderen Formaten dennoch stattfinden und so kam es das ich für die Broschüre “(K)ein Auge zudrücken!?” einen Interviewbeitrag abgeben durfte der sich nun in einer tollen Broschüre, als Ersatz für den ausgefallenen Fachtag, finden lässt.

Hier der offizielle Ankündigungstext des Redaktionsteams:

Fachbroschüre: (K)ein Auge zudrücken?! Umgang mit rechtsaffinen Jugendlichen in JFEen und Schulsozialarbeit

Als überbezirklicher Organisationskreis der Fachtagsreihe “Grenzenlos gestärkt in den Alltag” greifen wir in unserer Broschüre die ursprünglich im vergangenen Jahr geplanten fachlichen Debatten und die Diskussion um Praxisbeispiele in der Arbeit mit rechtsaffinen Jugendlichen auf.

Wir stellen uns die Frage, wie sich die Herausforderungen mit dieser Zielgruppe in unseren Arbeitsbereichen pädagogisch darstellen. Hierzu haben wir Beiträge von Kolleg*innen aus Wissenschaft und Praxis gesammelt. In der vorliegenden Broschüre werden die Diskussionen um die Bedeutung des Neutralitätsgebotes, der Parteilichkeit einer menschenrechtsorientierten Profession und praktischer (präventiver) Arbeit zur Stärkung eines solidarischen Miteinanders aufgegriffen und für die Fachkräfte der Jugendarbeit in Schule und Jugendfreizeiteinrichtungen zusammengetragen.

Die Broschüre soll mit ihren Diskussionen und praktischen Methoden Mut und Kraft geben, sich den aktuellen Herausforderungen zu stellen und uns gemeinsam als demokratische Akteur*innen stärken!

Wir wünschen eine anregende Lektüre!

Der überbezirkliche Fachtagskreis aus den Bezirken Pankow, Lichtenberg, Marzahn-Hellersdorf, Treptow-Köpenick sowie die Praxisstelle ju:an

HIER findet ihr die komplette Broschüre zum Download

Meinen Beitrag möchte ich euch hier aber nicht vorenthalten:

„Sich antifaschistisch zu positionieren, ist nichts schlimmes und verwerfliches.“

Das Dorf der Jugend in Grimma ist Träger des sächsischen Demokratiepreises 2019 und ein beeindruckendes Projekt jugendlicher Selbstverwaltung. Dafür möchten wir euch herzlich beglückwünschen.

Redaktion: Welche Rolle nimmt das „Dorf“ vor dem Hintergrund der gesellschaftlichen Stimmung in der Region ein?

Diese Frage ist etwas differenzierter zu betrachten. Ich denke, dass die Rolle des Projektes durchaus eine wichtige für Jugendliche ist. Zum einen werden Jugendlichen Freiräume zur Verfügung gestellt, welche von ihnen besetzt und gestaltet werden können, zum anderen bietet es für Jugendliche einen Raum, in welchem sie es schaffen können, sich selbst zu organisieren und dann ausgehend davon in die Gesellschaft hinein zu wirken. Selbstverständlich gibt es auch unter Jugendlichen Differenzen, so dass dies auch unter den Jugendlichen zu Konflikten führt. Da der Freiraum von unterschiedlichsten und teilweise in Konkurrenz stehenden Jugendgruppen genutzt wird, finden unter den Jugendlichen verschiedene Peer Prozesse statt, welche sonst aufgrund der Trennung nicht mehr stattfinden könnten.
Durch die Außenwirkung und die Angebote, welche durch die Jugendlichen gestaltet werden, können die Jugendlichen das eher negativ konnotierte Bild, welches Erwachsene von Jugendlichen haben, etwas aufbrechen und bei einigen Erwachsenen verändern. Es kommt dadurch zu interessanten Diskussionsprozessen zwischen Jugendlichen und Erwachsenen, die vor dem Hintergrund der aktuellen gesellschaftlichen Stimmung sehr wichtig sind. Erwachsene sind in diesem Zusammenhang die Eltern der Jugendlichen, die Lehrer:innen oder auch politische Vertreter:innen, mit denen Sie in Verbindung treten. Dadurch stellt das Projekt jedoch auch für einige Erwachsene ein Feindbild dar, welches sie nutzen, um ihre reaktionären und konservativen Weltbilder zu präsentieren. Die Jugendlichen sind dadurch auch verschiedensten Anfeindungen ausgesetzt, welche sie aufgrund ihrer guten Organisation und ihrem Gruppengefüge gut händeln können und es somit auch wieder zur Thematisierung verschiedenster Probleme im ländlichen Raum kommt. Wenn die Jugendlichen bestimmte Themen, wie z.B. aktuell die mangelhaften Zustände in Sammelunterkünften für Migrant:innen, nicht ansprechen würden, würde sich dafür niemand: interessieren und somit holen die Jugendlichen Themen auf die Tagesordnung, die einen Diskurs in Gang setzen, der sonst nicht stattfinden würde.
Durch meine Person wurde das Projekt von vielen Erwachsenen und Behörden stark angegriffen und es kam zu den skurrilsten Anschuldigungen gegenüber meiner Person oder den Jugendlichen von Seiten des Jugendamtes und politischen Vertreter:innen. Dies führte dann jedoch wieder zur Sichtbarmachung verschiedenster menschenfeindlicher Einstellungsmuster bei der regionalen Bevölkerung, was als Vorteil und positiver Nebeneffekt bezeichnet werden kann. Die Einstellungen der ländlichen Bevölkerung sind oft nicht sichtbar, da sich in vielen Bereichen eine starke Hegemonie entfaltet hat. Es ist deshalb positiv, dass durch die Jugendlichen relevante Themen auf die Tagesordnung geholt werden und man: so ein Gespür für die Einstellung der Bevölkerungsmehrheit bekommt. Vielleicht kann somit wieder eine aktive Zivilgesellschaft entstehen, welche aktuell nicht wirklich stark ausgeprägt ist. Man merkt immer wieder, wie sich vereinzelt Menschen mit den Jugendlichen solidarisieren und sie gegenüber der Mehrheitsbevölkerung verteidigen.
Das Projekt schafft es zusätzlich, dass die Jugendlichen nicht nach Beendigung der Schule den ländlichen Raum mit ihrem jugendlichen Engagement verlassen, sondern sich weiterhin vor Ort engagieren, was zum Aufbrechen der Alternativlosigkeit im ländlichen Raum beiträgt.

Gelingende Jugendarbeit und deren Wirkung

Wie kann partizipative und diskriminierungssensible Jugendarbeit gelingen, während rechte gesellschaftliche Diskurse immer wahrnehmbarer werden?

Das ist im Grunde die Kernfrage, die dazu geführt hat, das Projekt „Dorf der Jugend“ zu initiieren. Zusätzlich zu dieser Frage spielte die immer weiter zurück gedrängte Jugendarbeit und deren Wirkungslosigkeit eine entscheidende Rolle. Das Konzept beruht im Grunde auf diesen Fragen und der Überwindung der gesellschaftlichen Verwerfungen. Wichtig ist allerdings die Lösung von dem Begriff der „rechten“ Diskurse, denn diese Betrachtung engt die Arbeit zu sehr ein und lässt einen den Blick auf die Jugendlichen verlieren. Für Jugendliche (bis ca. 15/16 Jahre) sind Einteilungen in rechts, links oder Mitte sehr beliebig und es stecken oft noch keine konkreten geschlossenen Weltbilder dahinter. Diese Kategorien sind für die Jugendarbeit auch viel zu ungenau und bilden innerhalb der Sozialen Arbeit keine wirklich brauchbaren Begriffe ab. Vielmehr sollte es doch um Menschenrechte und ein solidarisches und gleichberechtigtes, respektvolles Miteinander gehen. Dies wird verhindert durch eine über viele Jahrzehnte verfestigte konservative und reaktionäre Hegemonie in bestimmten Landkreisen und Städten und diese äußert sich in dem, was wir als „rechte“ Diskurse bezeichnen. Erst einmal sollte es darum gehen, dass Jugendliche und Jugendarbeit überhaupt wieder wahrgenommen werden und im Rahmen ihrer Arbeit auch gesellschaftliche Emanzipation als selbstständige Subjekte möglich ist, denn häufig artet Jugendarbeit in Kontroll- und Ordnungspolitik aus, welche dann nicht wirklich zur Partizipation und zur Sensibilisierung führt.
Um über gelingende Jugendarbeit zu sprechen, müssen wir erst einmal darüber sprechen, was wir uns unter Jugendarbeit und emanzipatorischer Jugendarbeit vorstellen. Wenn wir diese Vorstellung dann in unserer Praxis leben, führt dies häufig zu Konflikten mit Kommunen und Jugendämtern, da diese teilweise ein völlig anderes Bild von Jugendarbeit und Jugendlichen haben. Schafft man: es, über Freiräume und stetige Beziehungsarbeit mit den Jugendgruppen diese für Selbstverwaltung und ihre eigenen Ideen zu begeistern, dann kann man: mit ihnen auch über die sensiblen Themen sprechen und dort gewisse Vorurteile und Vorbehalte aufbrechen, die sie vom Elternhaus und dem Erwachsenen-Umfeld mitbekommen haben.
Man: sollte sich hier immer vor Augen führen, dass Jugendliche offen sind für Diskurse und auch ständig auf der Suche sind nach der Erfüllung ihrer Bedürfnisse, und während all dieser Prozesse kann es gelingen, im Gespräch
und im TUN sensible Themen zu besprechen und ihren Horizont zu erweitern.
Wenn es gelingt, mit den Jugendlichen ihre Utopie entsprechend ihrer Bedürfnisse auszuleben, kommt man: auch an den Punkt, wo Jugendarbeit relevant wird für gesellschaftliche Diskurse, denn an einem gewissen Punkt trifft die Utopie der Jugendlichen auf die Wirklichkeit unserer Gesellschaft und dort ist es wichtig, diesen Prozess zu moderieren und für bestimmte Punkte eine Sensibilisierung auf beiden Seiten (Erwachsene und Jugendliche) durchzuführen.

Wie kann antifaschistische Jugendarbeit das gesellschaftliche Klima vor Ort verändern und ein solidarisches Zusammenleben fördern?

Indem sie sichtbar wird und Jugendliche den Ort ihres Wirkens nicht nach Beendigung der Schule verlassen, sondern sich weiter vor Ort engagieren.
Der zuvor beschriebene Diskurs zwischen Utopie der Jugendlichen und Wirklichkeit der Erwachsenen-Gesellschaft hat in beide Richtungen eine Wirkung und es entsteht dadurch mit der Zeit ein Veränderungsprozess, der für die Weiterentwicklung unserer Gesellschaft sehr wichtig ist.
Durch die Vermittlung von Solidarität bei den Jugendlichen werden diese in die Erwachsenenwelt hinein tragen und diese anstoßen und wenn sie selbst Erwachsene sind, werden sie ggf. anders handeln als es heutige Erwachsene tun.
Es wird durch die Jugendarbeit ein Diskurs am Leben gehalten, der in unserer Gesellschaft fast weg gebrochen ist, und dieser Diskurs bringt die Förderung des solidarischen Zusammenlebens. Dazu ist es wichtig, dass die Jugendlichen diese Solidarität selbst erfahren und erlernen, und dies klappt unter den unterschiedlichsten Peer Groups der Jugendlichen sehr viel besser als unter den Erwachsenen, da die Jugendlichen dafür grundsätzlich noch offen sind.

Neutralitätsgebot und Erfahrungen

Wie seid ihr mit den Debatten um das „Neutralitätsgebot“ konfrontiert und was könnt ihr uns für Erfahrungen für ein politisches Verständnis Sozialer Arbeit mitgeben?

Wie bereits angedeutet, gab es im Jahr 2019 eine ziemlich heftige Debatte bezogen auf die Anerkennung als Träger der Jugendhilfe in welcher mit dem nicht existierenden Neutralitätsgebot für die Soziale Arbeit gegen meine Person und das Projekt argumentiert wurde. Diesen Argumentationslinien des Jugendamtes konnte ich in einer umfassenden Stellungnahme die Aufgaben Sozialer Arbeit und der Jugendarbeit entgegen setzen, so dass die Vorwürfe nicht mehr haltbar waren.
Soziale Arbeit ist aufgrund ihrer Ausrichtung dem Grundgesetz, der Verfassung und vor allem den Menschen- und Kinderrechten verpflichtet. Ihre Aufgabe ist es, Diskriminierung abzubauen und Diversität zu fördern. So kann ein Neutralitätsgebot gegenüber diskriminierenden Einstellungen und geschlossen menschenfeindlichen Weltbildern durch die Soziale Arbeit nicht toleriert werden, da diese Weltbilder die Grundausrichtung der Sozialen Arbeit angreifen. Nun hat sich Soziale Arbeit in den letzten Jahrzehnten stark gewandelt, so dass es hier auch Diskussionsbedarf gibt und es fraglich ist, ob die zuvor angedeutete Ausrichtung tatsächlich noch dem heutigen Bild der Sozialen Arbeit entspricht oder ob sich die Soziale Arbeit ihrem Dienstleistungs-, Kontroll- und System stabilisierenden Auftrag voll und ganz ergeben hat. Bei der Jugendarbeit sieht dies jedoch anders aus. Denn wenn wir dort ansetzen, geht es um Entwicklung von Gesellschaft. Rassismus oder Nationalismus, aber auch Sexismus, etc. sind keine Entwicklung, sondern ein Rückschritt. Somit stehen sie einer Entwicklung junger Menschen entgegen und ein konstruiertes Neutralitätsgebot muss entschieden abgelehnt werden. Bei der Beschäftigung mit dem Thema ist jedoch auch sichtbar geworden, dass es tatsächlich sensibel zu betrachten ist, es macht einen Unterschied ob der: Sozialarbeiter: z.B. für die Linksjugend aktiv Werbung macht oder ob er: mit den Jugendlichen über Themen spricht, die vielleicht auch eine Linksjugend bearbeitet und thematisiert. Die Entscheidung, ob sich die Jugendlichen dann einer Gruppe anschließen, sollte zwingend deren eigene individuelle Entscheidung sein. Hier könnten Argumentationsketten greifen, die dann eher die Parteipolitik betreffen und nicht mehr auf die Grundrechte und die Verfassung zurück zu führen sind, deshalb sollte die Jugendarbeit hier trotzdem sensibel sein.
Sich antifaschistisch zu positionieren, ist nichts Schlimmes und Verwerfliches und absolut zu vereinbaren mit dem Grundgesetz und den Verfassungsschranken der Rechtsprechung. Nationalsozialistische Einstellungen sind mit dem Grundgesetz und den Verfassungsschranken nicht zu vereinbaren, deshalb greift ein konstruiertes Neutralitätsgebot hier auch nicht. Wie ich schon erwähnt habe, verwende ich ungern in meiner praktischen Arbeit die Kategorien Rechts, Links und Mitte, da genau aus diesen Kategorien eine Neutralität heraus konstruiert wird. Redet man: als Sozialarbeiter:in jedoch über Menschenfeindlichkeit und dem Grundgesetz entgegen stehende Einstellungen, dann wird der Diskurs viel genauer.
Die Jugendlichen waren durch die Vorwürfe sehr angegriffen und ihr Vertrauen in die Kommunalpolitik wurde erschüttert, sie haben sich mit den verschiedensten Onlinemedien dagegen zur Wehr gesetzt und in ihren Worten erklärt, was gerade passiert, so dass auch dieser Diskurs nicht nur von Erwachsenen und den Sozialarbeiter:innen dominiert wird!

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